Sonntag, 16. November 2008

Hiroshima - zwischen Geschichte und Kultur

Wenn man an Hiroshima denkt, fällt einem sofort der erste Atombombenabwurf ein, der den Japanern damals die endgültige Niederlage im zweiten Weltkrieg bescherte. Doch so prägend dieses Ereignis war, so wenig weiß man sonst über die Stadt - so ging es mir zumindest bis zu diesem Wochenende. Mittlerweile weiß ich: Hiroshima ist mehr als ein dunkles Kapitel der Weltgeschichte. Die "Stadt der Flüsse" erinnert ein wenig an Venedig und bietet viel Sehenswertes - u.a. das meistfotografierte Gebäude Japans, aber dazu später mehr.

In diesmal rein männlicher Besetzung (Michael, Pascal und ich) erreichten wir nach mehrstündiger Bus- und Fährfahrt das Stadtzentrum Hiroshimas, wo wir von Lynn (kennengelernt beim Japanisch-Sprachkurs in Bochum) und ihrer Mitbewohnerin Agnes abgeholt wurden. Nachdem uns Lynn in der Woche zuvor in Oita besucht hatte, waren wir an der Reihe, ihre Gastfreundschaft zu genießen - und das taten wir. Bis vor einigen Wochen hatte sie noch in einem Studentenwohnheim gewohnt, in dem es zuging wie in der 7. Klasse: "Jungen-" und "Mädchenzimmer" strikt voneinander getrennt, Besuch verboten und Ausgangssperre ab 22 Uhr. Nun wohnt sie mit Agnes und einer schrillen Schweizerin in einem kleinen Haus am Berg abseits der Stadt. Eigene Wiese mit Grillplatz, 5 Zimmer mit Küche und ein riesiges Bad mit einem Onsen - so lässt es sich leben!! Michael hat sofort nach unserer Ankunft die Feuerstelle vorm Haus zum Leben erweckt; ich bin nochmal zurück zum Supermarkt gelaufen, um Fleisch und Marshmallows zu holen (nach Professor Bahaus BBQ kann uns am Grill keiner mehr was vormachen), während die anderen das Bier kaltgestellt und die ersten Cocktails gemixt haben.


Ein Haus in der Natur statt "Studentenanstalt" - gute Wahl, Lynn!



Erste Funken bei Agnes und Michael - keine Sorge, Jana ;-)



...während sich der Stammesälteste erstmal eine Auszeit gönnte.



40 Chicken Wings und 3 White Russian später wurde es langsam kühl auf dem dunklen Berg und es war für uns Jungs an der Zeit, ein heißes Bad im Onsen zu nehmen.


Nach einer kalten Nacht (japanische Häuser sind wegen der langen, schwül-heißen Sommerzeit so gut wie gar nicht isoliert) wurden wir am nächsten Morgen von strahlendem Sonnenschein begrüßt. Beste Voraussetzungen für eine Sightseeing-Tour durch das Stadtzentrum.



Aber vorher noch der virtuelle Rundgang durch ein typisch japanisches Haus




Hightech-Klo im Oldschool-Häusle



Hiroshima (zu dt. weitläufige Insel) ist durchzogen von Flüssen und an einem schönen Tag wie diesem besonders idyllisch. Im Hintergrund erinnert die Atombombenkuppel, eines der wenigen damals nicht komplett zerstörten Gebäude, an eine weniger idyllische Zeit.



Der Kenotaph im Friedenspark - hier wird heute noch der Opfer gedacht.



Im Friedensmuseum gab es viel Interessantes, aber auch Bedrückendes zu sehen. Während des zweistündigen Besuchs haben wir so gut wie gar nicht miteinander gesprochen und auch sonst war es trotz der vielen Besucher unheimlich still. Der rote Ball auf dem Bild gibt die Position der Atombombe zum Zeitpunkt ihrer Detonation an. Die 4 Tonnen schwere Uranbombe entwickelte eine Hitzewirkung von mehr als 6.000 Grad und ließ noch in über 10 Kilometern Entfernung Bäume in Flammen aufgehen. Bis heute sterben Menschen an den Langzeitfolgen der damaligen Strahlung. Die wenigen Überlebenden werden Hibakusha genannt.


Am nächsten Tag stand ein leichter zu verdauendes Programm auf dem Plan: es ging mit Bahn&Boot nach Miyajima, eine Insel etwas außerhalb der Stadt, die für den Schrein-Torbogen im Wasser bekannt ist (das bereits erwähnte meistfotografierte Gebäude Japans).

Und so sieht er aus, der Torii des Itsukushima Schreins. Das frühe Aufstehen hatte sich gelohnt, denn ab der Mittagszeit herrschte Ebbe und der goldene Bogen glänzte im Schlamm.



Die Promenade rund um den Schrein war voll mit zutraulichen Rehen - kein Wunder, bei derartiger Zuwendung.




In der Mitte der kleinen Insel befindet sich der 535m hohe Berg Misen, der einen grandiosen Ausblick bietet. Der größte Teil des Aufstiegs kann mit einer Seilbahn zurückgelegt werden. Wir, sportlich, jung und dynamisch, entschieden uns aber für den Fußweg, der an vielen Schreinen und Tempeln entlang führte. Unterwegs stellten wir fest, dass wir nicht die einzigen 'Verrückten' waren - ganze Wandergruppen (Altersdurchscnitt 60 und aufwärts), sowie Familien mit kleinen Kindern hatten sich auf den teils steilen und rutschigen Weg gemacht.



Pascal und Lynn vor einem der vielen Tempel, ...



... die zum Teil von buddhistischen Mönchen genutzt wurden.



Eine Pagode mit typisch japanischen Dächern



Herbstliche Farben



Nach zwei Stunden schweißtreibenden Aufstiegs hatten wir den Gipfel des Misen erreicht und konnten dank des schönen Wetters bis nach Hiroshima blicken.



Gibt es gefühlte Höhenmeter?


Wandern macht hungrig. Das bekamen wir bereits auf der Hälfte des Berges zu spüren. Das Frühstück lag Stunden zurück und die mitgenommenen Mini-Snacks waren längst verzehrt. Aber bei den Menschenmassen, die Richtung Gipfel wollen, gibt es dort bestimmt Restaurants, trösteten wir uns. Wir fragten uns schon, wann wir in Japan die erste typisch deutsche Imbissbude finden würden - insgeheim hofften wir auf heute und uns lief bei dem Gedanken an 'Pommes-Currywurst' schon das Wasser im Mund zusammen. In Deutschland hätten sich wahrscheinlich dutzende Bratwurststände um die Gunst der hungrigen Wanderer bemüht.
Oben angekommen, bot sich anstelle von Grillbuden folgendes Bild:

Überall Picknickdecken, wo man nur hinsah, von babyblau bis schweinchenrosa! Und das Schlimme daran: Die Japaner hatten ihren Proviant mit auf den Berg geschleppt und aßen, nein fraßen ihn vor unseren Augen weg! Und weil wirklich jeder (ausgenommen fünf doofe Touristen) sein Obento (stilvolle Essensbox - quasi der Ferrari der Tupperware) dabei hatte, gab es auf dem Berg kein Essen zu kaufen. In so einem Moment möchte man einfach mal Löwe im Tierreich sein und das Recht des Stärkeren walten lassen ;-)
Zurück im Tal angelangt, gönnten wir uns ein paar gebratene Austern und einen Okonomiyaki (gebratener Pfannkuchen mit Gemüse und Fleisch oder Meeresfrüchten - Spezialität in Hiroshima).

Abends drehte sich schon wieder alles ums Essen, als wir bei Lynn und Agnes zu Hause zusammen mit ihren Hausherrinnen ein typisch japanisches Nabe zubereiteten. Nabe ist ist eine Art Eintopf, der am Tisch gekocht wird. Ähnlich wie beim Fondue sitzen alle um einen Pott herum und jeder kann nach Belieben Zutaten hinzugeben. Das Essen aus einem Topf gilt bei den Ostasiaten als wichtiger Schritt, um freundschaftliche Beziehungen aufzubauen.

Nabe - Eintopf auf japanische Art



Das asiatische "Peace-Zeichen" gehört mittlerweile zu fast allen Gruppenfotos dazu - auch wenn ich hier der einzige Blöde war.

Ach ja, noch etwas: eine besondere Art der Nabe ist Chankonabe. Diese besteht aus mehr Zutaten (u.a. mehr Fleisch und Fett) und wurde ursprünglich nur für Sumo Wrestler zubereitet. Und Sumo ist das Stichwort, denn da ging es am nächsten Tag hin, zum Grand Sumo Tournament in Fukuoka. Aber dazu mehr im nächsten Bericht!

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